Das Kußmaul ist eine Pflanze, die nur in Büchern vorkommt, genauer in Kurt Halbritters „Tier- und Pflanzenwelt”, erstmals 1975 nachweisbar, dann aber mit 11 Auflagen innerhalb von 5 Jahren von invasivem Charakter. Ihr Schöpfer Kurt Halbritter war ein in den 60er und 70er Jahren hoch geschätzter satirischer Zeichner und Karikaturist, der für das Satiremagazin Pardon und die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet hat.
Sein „Beitrag zur Naturgeschichte für alle Schichten des Volkes“ hat seine Wurzeln in der Nonsense-Literatur des 19. Jahrhunderts, genauer bei Edward Lear, der von Haus aus eigentlich naturkundliche Abbildungen für wissenschaftliche Zwecke anfertigte, daneben sich aber auch Pflanzen wie die Bottlephorkia Spoonifolia hat einfallen lassen, deren Blätter Löffel, die Blüte aber ein Arrangement aus einer Flasche und Gabeln sind.
In der deutschen Literatur war es unter anderem Franz Bonn, der ab 1877 in den Fliegenden Blättern „Populärwissenschaftliche Wandervorträge” eines Dr. Sulphurius über Botanik, aber auch über Mineralogie veröffentlichte, die von Wilhelm Busch illustriert wurden.
Halbritter verknüpft nun das Erfinden, wie es Lear im 19. Jahrhundert praktiziert hatte, mit erläuternden Texten, die den Duktus von zoologischen oder botanischen Bestimmungsbüchern aufgreifen. Dabei dürften die Texte noch nicht einmal von ihm selbst stammen, denn die „wissenschaftliche Klassifizierung […] aufgrund alter Nachschlagewerke” wird im Buch Friedrich Bohne aus Hannover zugeschrieben – und der wiederum war seit seiner Promotion über Wilhelm Busch im Jahr 1930 ein fleißiger Herausgeber von dessen Werk als Zeichner und Verseschmied.
Prof. Dr. Ernst Rohmer, Privatdozent für Neuere deutsche Literatur