Schonerstraße 7 - Luise Zietz
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Es ist nichts mehr aus der Zeit der Industrialisierung zu sehen, weil große Teile der Südstadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Und doch befand sich hier in der Schonerstraße Nummer 7 ein wichtiges Lokal der Arbeiter:innenbewegung, das von der proletarischen Frauenbewegung genutzt wurde: Der „Bürgersaal“.

 Frauen in Deutschland war es in den Jahrzehnten von 1850 bis 1908 aufgrund des restriktiven und frauenfeindlichen Vereinsgesetzes verboten, Mitglied in einem als politisch geltenden Verein oder in einer Partei zu sein.

Der politische Bewusstwerdungsprozess der Arbeiterinnen ließ sich jedoch nicht mehr aufhalten.

 Am 30. September 1902 meldete die Gewerkschafterin Elise Simon beim Stadtmagistrat eine Versammlung im „Bürgersaal“ an, auf der das Thema „Die politische Rechtlosigkeit der Frau“ behandelt werden sollte.

Sie hatte Luise Zietz aus Hamburg, eine der bekanntesten Persönlichkeiten der proletarischen Frauenbewegung, als Referentin eingeladen.
Luise Zietz war außerordentlich erfolgreich bei der Rekrutierung weiblicher Mitglieder für die Sozialdemokratie. Sie entwickelte spezielle Werbe- und Politisierungsstrategien für Frauen, wodurch sie die proletarische Frauenbewegung zu einer Massenbewegung machte.

Zudem muss sie eine außerordentlich eindrucksvolle und kritische Rednerin gewesen sein.

Sie spricht mit Ausdruck, besonders populär und versteht es unter Zuhilfenahme kleinlicher Beispiele aus dem täglichen Arbeiterleben Aufmerksamkeit zu erwecken und durch Einflechtung von an Unanständigkeiten grenzenden Redewendungen ihren Vortrag interessant zu gestalten und laute Beifallsbezeugungen hervorzurufen. (Bericht des königl. Bezirkspolizeikommissars aus Essen, 1906)


Die erfolgreiche Agitatorin war unermüdlich unterwegs. An der „Demokratisierung des Verkehrs“ durch die Eisenbahn nahmen folglich auch Frauen teil. Wir können uns vorstellen, wie Luise Zietz mit einer Tasche voller Exemplare der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ vom Bahnhof bis hierher gelaufen ist, um ihren politischen Agitationsvortrag hier in der Schonerstraße zu halten.

Wir sind nur so gut über den Verlauf der Versammlung informiert, weil ein Polizeikommissär teilnahm, der minutiös den Vortrag von Luise Zietz und die daran anschließende Diskussion aufzeichnete, um sie dann an die königliche Regierung von Mittelfranken weiter zu leiten. Und dieser Bericht wird noch heute im Nürnberger Stadtarchiv aufbewahrt.
Um halb neun Uhr abends eröffnet die Vorsitzende Elise Simon die Versammlung – man bedenke den ohnehin schon langen Arbeitstag der Arbeiterinnen! – anwesend sind 160 Personen, die Hälfte davon Männer.

Luise Zietz beginnt ihren Vortrag mit dem „Stürmen und Sehnen nach völliger Entfaltung der Persönlichkeit“, das nicht nur die Männer, sondern auch die Frauen ergriffen habe. Noch sei die Frau Staatsbürgerin 2. Klasse, doch bei ihrem Streben nach völliger Gleichberechtigung werde sie von einer Partei vorbehaltlos unterstützt und das sei die Sozialdemokratie.

Die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse machten die Arbeit der Frauen in der Fabrik nötig, doch hätten die Unternehmer die Bedürfnislosigkeit der Arbeiterinnen ausgenutzt und sie zu Lohndrückerinnen gemacht.

Zietz beklagt das reaktionäre Vereinsrecht, das es den Frauen erschwere, sich gegen die Ausbeutung zu wehren. Es sei nicht wahr, dass die Auseinandersetzung mit Fragen des öffentlichen Lebens der Natur des Weibes entgegenlaufe. Vielmehr fordert sie die Anwesenden auf, sich den gewerkschaftlichen Organisationen anzuschließen, zu agitieren und sich zu organisieren.
Nach ihrem Referat melden sich noch einige Anwesende zu Wort und es ist erstaunlich, dass es in der Mehrzahl die Frauen sind, und nicht die Männer, die in der Öffentlichkeit sprechen. So fordert eine gewisse Frau Erber laut den Aufzeichnungen des anwesenden Polizeikommissärs,

 Sich einmütig gegen die Knechtschaft des Weibes zu erheben.

Auch der Mann von Elise Simon, der in Nürnberg bekannte linke Gewerkschafter Josef Simon, meldet sich zu Wort und fordert die Frauen auf, in Massen gegen die Fesseln zu protestieren, die ihnen die Polizei anlegen wolle, in dem sie ihnen jeden Besuch einer Versammlung verekeln würde.

 Mit der Aufforderung, durch Verbreitung der proletarischen Frauenzeitschrift „Die Gleichheit“ geistiges Land unter den Frauen zu schaffen und untereinander Solidarität zu üben, wurde die Versammlung um halb elf geschlossen.

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